Das Schweizer Berufsbildungssystem hat national wie international einen hervorragenden Ruf. Umso erstaunlicher ist es, dass den Betrieben die Lernenden ausgehen. Bis im August 2016 konnten schweizweit rund 10'000 Lehrstellen (1162 im Kanton Zürich) nicht besetzt werden, während gleichzeitig rund 9'000 Schülerinnen und Schüler keine Anschlusslösung an die Sekundarschule gefunden hatten.
Frühe Weichenstellung
«Unsere Kinder sollen wissen, was sie werden, bevor sie wissen, wer sie sind.» Diese Aussage einer Vertreterin eines grossen Ausbildungsverbandes stimmte mich nachdenklich. Im zarten Alter von
12 Jahren werden im Kanton Zürich erstmals Weichen in der Ausbildung unserer Kinder gestellt: Sekundarstufe A, B, C oder Langzeitgymnasium? Über 55 % der späteren Maturanden beschreiten
bereits hier den gymnasialen Ausbildungsweg bevor in der Schule und vermutlich auch im Elternhaus der Berufswahlprozess überhaupt ein Thema war. Mit etwa 14 Jahren haben die Schülerinnen und
Schüler der Sekundarstufe II nochmals die Wahl zwischen dem Besuch einer Mittelschule oder den derzeit rund 230 Ausbildungen (2-, 3- und vierjährig) in der beruflichen Grundbildung.
Berufswahlprozess überfordert
Mit dieser Wahlfreiheit sind die Jugendlichen jedoch oft überfordert. Deshalb erstaunt es nicht, dass gemäss aktuellen Studien trotz Internet und diversen Social Media-Plattformen die Eltern die Berufswahl ihrer Kinder immer noch entscheidend prägen. Während die Berufsbildungsorganisationen und die Lehrbetriebe in den letzten Jahren zahlreiche Massnahmen ergriffen haben, um die potentiellen Lernenden noch gezielter anzusprechen und ihre Ausbildung bekannter zu machen, fehlen Konzepte zur Information und zum aktiven Einbezug der Eltern in den Berufswahlprozess fast gänzlich.
Elternbildung ist angesagt
«Wer hoch hinaus will muss ans Gymnasium». Diese Meinung ist gerade bei sogenannten bildungsambitionierten Eltern immer noch fest verankert, aber völlig falsch. Anfangs 2014 waren doppelt so
viele Akademiker wie hochqualifizierte Berufsleute als arbeitslos gemeldet. Heute sind die beiden Einstiegswege in die Berufswelt - Gymnasium oder Lehre - völlig gleichwertig und auch nach einer
Lehre steht der Weg für ein Studium an einer Fachhochschule oder einer Universität offen. Daneben werden den Berufsleuten aber auch zahlreiche Weiterbildungsmöglichkeiten (Berufsprüfungen, höhere
Fachprüfungen) in ihren Berufsfeldern angeboten, um sie zu hervorragenden Fachkräften auszubilden. All dies ist (zu) vielen Eltern nicht bekannt. Deshalb müssen Wirtschaft, Gewerbe, Schulen und
Berufsberatung nun dringend vernetzt vorgehen und gemeinsam Wege finden, um die Eltern frühzeitig (ab Mittelstufe) und aktiv in den Berufswahlprozess miteinzubeziehen und damit das duale
Bildungssystem in unserem Land weiter zu stärken.